Innovation in der Steuerverwaltung

Eine Software des CZM macht das Expertenwissen von Veranlagern im Computer aktiv

von Marco C. Bettoni
Professor für Künstliche Intelligenz und Wissensmanagement
CIM-Zentrum Muttenz, Fachhochschule beider Basel

 

Ein Expertensystem erlaubt Veranlagern und Veranlagerinnen die grosse Masse einfacher Selbstdeklarationen vom Computer überprüfen zu lassen; dadurch gewinnen sie wertvolle Zeit die sie u.a. in die Veranlagung von aufwendigeren Spezialfällen einsetzen können.

 

Einführung

Am 13. Juni 1999 hat der Baselbieter Souverän die Umstellung auf die einjährige Veranlagung beschlossen. Die Einführung des Jahressteuerverfahren wird bei der Überprüfung der Steuererklärungen einen plötzlichen Mehraufwand hervorrufen. Da diese Veränderung ohne Personalaufstockung erfolgen soll, entstand in der Steuerverwaltung die Idee mit einer innovativen SW-Applikation die grosse Masse einfacher Selbstdeklarationen vom Computer überprüfen zu lassen: dadurch können Veranlager und Veranlagerinnen von Routinefälle entlastet werden, was sowohl ihre Verarbeitungskapazität erhöht als auch ihnen die Möglichkeit gibt mehr Zeit für aufwendigere Spezalfälle und für die berufliche Weiterbildung zu investieren.

Einsatz von KI-Technologien

Um das Spezialwissen von Veranlagern im Computer aktiv zu machen ist aber die konventionelle Programmierung ungeeignet: die Überprüfung von Steuererklärungen ist eine wissensintensive Tätigkeit und erfordert eine SW-Technologie die es ermöglicht Wissen in klaren, modularen Objekten und Regeln zu formalisieren und zu verarbeiten. Zum Glück gibt es unter den Technologien der künstlichen Intelligenz (KI) jene der wissensbasierten Expertensysteme - eine Kernkompetenz des CIM-Zentrum Muttenz – welche diese Anforderungen erfüllt. Die Applikation für die Überprüfung der Steuererklärungen entsteht also zurzeit am CZM (Marco Bettoni und Stefano Achermann) als innovatives, wissensbasiertes KI-System unter der Bezeichnung ATA (Allegro Tax Assistant).

Automatische Veranlagungs-Entscheide

Das ATA-System wird die vorerfasste Angaben des Steuerpflichtigen aus der Datenbank der bestehenden konventionellen Veranlagungs-Software lesen. Mit diesen Daten wird dann ATA einen Veranlagungs-Entscheid fällen, d.h. bestimmen ob die Angaben plausibel und dem Steuergesetz entsprechend sind oder ob sie eine genauere Übeprüfung durch den Veranlager erfordern. Wird das System eine Selbstdeklaration annehmen, dann soll auch keine weitere Überprüfung stattfinden sondern unmittelbar das OK für die Erstellung der definitven Rechnung weitergegeben werden. Massgeblichen Einfluss auf die Qualität automatischer Veranlagungs-Entscheide wird vor allem die Modellierung des Expertenwissens haben. Da für diese sogenannte Wissensmodellierung keine Standards existieren, erfordert diese Aufgabe von allen Beteiligten den grössten Einsatz sowohl in Bezug auf Systematik, Kreativität und Kooperation.

Wissensmodellierung

Wie kommt das Wissen der Steuerexperten in das ATA System ? Ein Spezialist für Qualitätsmanagement (Steuerverwaltung BL) koordiniert die Erfassung des Veranlagungs-Wissen durch Veranlagungs-Experten. Dieses Wissen wird in strukturierter Form - hauptsächlich Formeln für die Überprüfung der Einträge in die Steuererklärung - dem Wissensingenieur (CZM) abgegeben und gemeinsam besprochen. Der Wissensingenieur verwandelt das Expertenwissen in Systemwissen: er baut eine Begriffshierarchie auf, spezifiziert dementsprechend die System-Regeln und definiert die erforderlichen Methoden. Typisch ist dabei, dass erst aus dem Verhalten des entstehenden Systems Hinweise für die Anforderungen an die nächste Entwicklungsstufe hergeleitet werden können (evolutionäre Methode). Grössere Umstellungen im Systemwissen können die Folge sein, verursachen jedoch keine Schwierigkeiten weil wissensbasierte Expertensysteme vergleichsweise sehr anpassungsfreundlich sind.

Systemanpassung ohne Programmierung

Nicht nur auf die System-Entwicklung sondern auch auf die Anpassung des Systems an zukünftige Steuergesetzrevisionen oder an Veränderungen im wirtschaftlichen (Zinsen, usw.) und sozialen (Wohnort, Zivilstand, Beruf, usw.) Umfeld wirkt sich die Anpassungsfreundlichkeit wissensbasierter Expertensysteme positiv aus: da die Regeln der Veranlagungs-Logik von der Programmablauf-Logik klar getrennt sind, können sie auf einfache Weise hinzugefügt, entfernt oder modifiziert werden. Der Entwickler muss dafür nicht in den Programmablauf eingreifen, sondern nur die modular aufgebaute Wissensbasis lokal verändern.

Ein weiterer Vorteil ist, dass dank dieser Trennung zwischen Veranlagungs-Fachwissen (Wissensbasis) und Programmablauf (Infrenz) Veranlager und Veranlagerinnen in der Lage sein werden ohne Programmierkenntnisse das Expertensystem anzupassen. Unabhängig von Computerspezialisten werden sie – dank einer speziell auf die ATA-Wissensbasis zugeschnittene Wartungskomponente – das System laufend auf dem neusten Stand halten können.

Stand der Entwicklung und weiteres Vorgehen

Der Funktionsumfang des ATA Systems beschränkt sich vorläufig auf die Veranlagung von unselbständig Erwerbende und nicht Erwerbstätige. Zurzeit wird dafür ein Prototyp entwickelt, welches sich auf die Veranlagung von "Rentner ohne Immobilien" beschränkt. Dieses System umfasst ca. 150 System-Regeln (aus ca. 50 Experten-Regeln) und soll, nach intensiven Tests im 'standalone' Modus (September 1999), bis Ende 1999 produktiv eingesetzt werden. Parallel dazu soll an die Erweiterung der Wissensbasis um die Kategorien "Einkommen" und "Immobilien" gearbeitet werden. Das komplette ATA-System wird ab 2001 ca. 60-70% von den ca. 140'000 Veranlagungen der im Kanton Baselland vorkommenden Steuererklärungen unselbständig Erwerbender und nicht Erwerbstätiger Personen automatisch veranlagen.

Basel/Muttenz, September 1999

  ©2000, Marco C. Bettoni, FHBB - 01.11.00