Universität Zürich - Weiterbildung - 'Konstruktives Wissensmanagement' - Vortrag 12.3.2001

Eine Auffassung von Wissen
auf der Grundlage von Kants Kognitionstheorie

Marco C. Bettoni

Fachhochschule beider Basel - FHBB

 

Inhalt

I. Einleitung

   - Was mich bewegt

   - Kreativität und Verantwortung als Ziele

II. Drei Kernaussagen

   - Warum Kant?

   - Kant neu gelesen

III. Wissen autopoietisch verstehen

   - Autopoiese und Selbstorganisation

   - Stilles und explizites Wissen

   - [Frage 1: Wie unterscheiden sie Wissen und Information?]

   - [Frage 2: Was bedeutet 'Verstehen' im autopoietischen Modell von Kognition?]

   - [Frage 3: Wenn etwas nicht verstanden worden ist, ist das auch Wissen?]

IV. Kant konstruktivistisch interpretieren

   - [Frage 4: Ist das dann nicht nur subjektiv?]

   - [Frage 5: Ich bilde ja den Raum nur ab, stimmt das?]

   - Konstruierende statt abbildende Operationen

   - Logik als Menschenwerk und Wissenschaftler als Erfinder

   - Verantwortung des Wissenschaftlers für sein Denken

   - Die zentrale Hypothese der Kritik

   - Die Suche nach einer 'absoluten, universellen' Logik

  - Kritizismus als Idealismus

   - Vorwürfe wie Inkonsistenz, Widersprüchlichkeit, Verworrenheit

   - Begriffe a priori als angeboren

V. Konsequenzen

 

[Vorbemerkung: der nachfolgende Text enthält die Abschrift der Tonbandaufnahme erweitert mit nachträglichen Ergänzungen, die zur besseren Unterscheidung in eckigen Klammern geschrieben sind]

I. Einleitung

Mein Beitrag heute ist eine Reflexion über Wissen mit dem Arbeitstitel ["Eine Auffassung von Wissen auf der Grundlage von Kants Kognitionstheorie"]. Ich möchte [nämlich] versuchen über Wissen zu sprechen und die Grundlage dafür ist die Kognitionstheorie von Kant - meine Interpretation [davon] natürlich. [Mein Thema] ist auch im Prospekt zu diesem Kurs über Wissensmanagement erwähnt worden - es sieht da sehr schön aus - [dort steht] dass ich über philosophische Hintergründe reden würde. Rolf sagte [vorhin] ich sei nicht nur Ingenieur sondern [auch] Philosoph ... ich weiss nicht, wahrscheinlich bin ich keiner von beiden ... sondern eher irgend etwas dazwischen [die Bezeichnung 'Kybernetiker' finde ich eher passend]. Die Philosophie ist [aber traditionell] das Fachgebiet in dem man über Wissen am meisten reflektiert hat und in diesem Sinne bin ich vielleicht ein bisschen Philosoph weil ich auch versuche über Wissen zu reflektieren; aber nicht die klassische Reflexion die in den Philosophie-Büchern steht, sondern ich versuche neue Wege zu gehen.

Was mich bewegt

... die Gründe für dieses Interesse an einer Reflexion über Wissen und Kognition liegen bei mir sehr weit zurück, schon in der Kinderzeit und in der Schulzeit. Als Kind bin ich [in Italien] zweisprachig aufgewachsen - deutsch und italienisch, eine gewisse Zeit lang [1952-1960] - und so bin ich sehr früh empfindlich geworden für Kommunikations-Probleme und der Versuch damit umzugehen hat mich zu gewissen Reflexionen auch über Wissen geführt, wobei natürlich Reflexion eher nicht das richtige Wort ist, es waren Erfahrungen mit Kommunikations-Schwierigkeiten. Später in der Schule waren es Erfahrungen mit Verständnis-Schwierigkeiten. Ich erinnere mich mit 11 Jahren haben wir Geometrie gehabt in der Schule, z.B. wurden diese Euklidischen Grundprinzipien eingeführt - was ist ein Punkt, was ist eine Linie, usw. - und das hat mich nie überzeugt, diese Darstellung in der Schule und später auch an der Uni - ich habe hier [in Zürich] an der ETH studiert, 1971 habe ich das Studium angefangen, da war diese neue ETH-Mensa noch nicht da, es gab noch die alte Mensa und das war ein Glück, weil das hat ein wenig die Stimmung des ETH-Hauptgebäudes und des Maschinenlaboratoriums ausgeglichen, denn die alte ETH-Mensa war in einem alten Gebäude untergebracht wo man lange Schlange stehen musste und nicht immer alles optimal funktionierte was eine Gewisse Auflockerung gebracht hat.

Ich habe also hier Maschinenbau studiert und da hat man sehr viel mit Physik, Mechanik, Strömungslehre, Thermodynamik usw. zu tun, mit diesen Grundlagen, und da sind meine Zweifeln [wie jene in der Schulzeit] weitergegangen. Zweifeln an der Art und Weise wie Wissen präsentiert wird; aber das Studium habe ich dann [1997] abschliessen können, trotz dieser Zweifeln. Das sind also die Beweggründe, meine Versuche diese Zweifeln zu verstehen. Die Auseinandersetzung mit Wissen ist für mich auf diese Versuche zurückzuführen.

Kreativität und Verantwortung als Ziele

Das Ziel wäre aber mehr allgemein, also etwas was für andere auch nützlich sein könnte zu erarbeiten, insbesondere in Bezug auf Kreativität. Meiner Meinung nach wird viel zu wenig gemacht um das Potential - das kreative Potential das jeder von uns hat - freizulegen. Die Erfahrungen die ich gemacht habe in der Schule in Italien waren eher, dass man da etwas vorgeschrieben bekommt und diejenigen die das folgen können sind eben die 'intelligenten' die anderen hingegen die 'dummen' und die Kreativität die in jedem Kind steckt die wird nicht gefragt, wird nicht entwickelt. Das ist jetzt ein wenig plakativ, aber tendenziell [stimmt es doch]. Mein Ziel wäre aus dieser Reflexion über Wissen etwas für das kreative Denken zu tun, aber auch für die Verantwortung über dieses kreative Denken. Nicht politische oder familiäre Verantwortung sondern Verantwortung für unser Denken, für diese kreative Leistungen die wir erbringen können mit dem Denken. Ich empfinde die Situation mit dem Denken so, dass man [als selbstverständlich voraussetzt dass], weil Denken ein Abbild der Realität sein sollte und die Realität eben vorgegeben ist, so bin ich eigentlich nicht verantwortlich für mein Abbild, der ist vorgegeben. Ich muss nur versuchen, dass mein Abbild die Realität möglichst genau wiedergibt und wenn diese Aufgabe gelöst ist dann trage ich nicht Verantwortung für mein Denken, denn die Realität 'ist so' [ich kann nichts dafür]. Das ist der Stand der Dinge in der Wissenschaft - aus meiner Sicht - so wie Wissenschaftler heute die Sache sehen, mehrheitlich; und auch die Politiker, die die Wissenschaft verwalten, seien es Hochschulinstitute, Forschungsanstalten usw. Meiner Ansicht nach sollte die Verantwortung für das Denken mehr Beachtung bekommen, das ist auch ein Ziel.

II. Drei Kernaussagen

Für heute habe ich folgende drei Punkte vorgesehen, aber wir können auch über etwas anderes sprechen und sie können jederzeit Fragen stellen:

  1. Wissen autopoietisch verstehen
  2. Vermögen der Kognition modellieren um Begriff des Wissens zu klären
  3. Kant konstruktivistisch interpretieren

Der erste Punkt oder 'message' lautet 'Wissen autopoietisch verstehen'. Eine Idee die ich in meiner Reflexion über Wissen seit langem verfolge ist, dass ich versuchen möchte das autopoietische Konzept von Humberto Maturana - sie kennen ihn vielleicht - auf das Wissen anzuwenden. Ich habe noch nicht viel in diesem Bereich gemacht, es ist vorläufig nur ein Ziel. Wir kommen später noch darauf zurück. Um das zu tun [d.h. um Wissen zu verstehen], um dieses autopoietische Verständnis von Wissen zu entwickeln - und so kommen wir zum zweiten Punkt - muss meiner Ansicht nach das Vermögen der Kognition modelliert werden. Und das ist etwas was ich mache, ich versuche das Vermögen der Kognition zu modellieren und man kann selbstverständlich neue Sachen erfinden - das ist immer gut - aber im Laufe meiner Auseinandersetzung mit dem Thema Wissen bin ich auf Kant gestossen (dritter Punkt).

Warum Kant?

Ich war im Frühjahr 1987 dabei einen Vortrag für eine Kybernetik-Konferenz in London vorzubereiten und war an einem Punkt angelangt wo ich nicht weiter kam und da habe ich in einem Buch von einem Informatiker - John Sowa heisst er - einen Hinweis auf Kant gelesen und das hat mich dann dazu bewogen die 'Kritik der reinen Vernunft' anzuschauen - ich kannte sie nur von der Schule, also sehr oberflächlich aus sekundärer Literatur - und habe dann genauer in dem Buch gelesen und die Antwort auf meine damalige Frage die habe ich tatsächlich dort gefunden und so hat das angefangen. Jetzt befasse ich mich bereits seit 14 Jahren mit Kant, wenn auch nur sporadisch, denn es ist nicht mein Beruf, mein Beruf ist Ingenieure auszubilden und Projekte im Ingenieurbereich zu machen, aber immer wieder habe ich mich auch mit der erwähnten Reflexion über Wissen befasst und bei Kant habe ich einige Antworten gefunden, gerade in dieser Richtung, also modellieren des Vermögens der Kognition so, dass man die Hoffnung haben kann Wissen autopoietisch zu verstehen schlussendlich. Kant ist die Grundlage für mich. Nicht dass ich dort schon ein solches Modell gefunden hätte, aber ich finde Ideen, die in dieser Richtung bringen könnten.

Kant neu gelesen

Natürlich ist das nicht derjenige Kant, der in den Hochschulen gelehrt wird, sondern das ist mein Kant. Das ist ein wichtiger Punkt. Ich habe das auch mit Aristoteles und Plato ansatzweise versucht. Hier an der Universität Zürich habe ich z.B. ein mal ein Seminar über Aristoteles, über sein Grundwerk "Die Kategorien" besucht und da habe ich auch eine neue Interpretation versucht aber der Professor war nicht sehr einverstanden damit. Das kann man jedenfalls trotzdem in vielen Fällen machen. Nun es ist aber keine freie Erfindung dieser Kant, den ich konstruktivistisch interpretiere. Ich sage nicht, diesen Ausdruck den interpretiere ich in diesem Satz so, in einem anderen anders. Es ist eine systematische Interpretation, das Ganze muss kohärent bleiben es muss also ein System der Interpretation und eine Methode benutzt werden. Das heisst aber nicht, dass Kant wirklich das gemeint hätte. Es ist aber auch keine willkürliche Interpretation: zwischen der Willkür und der Interpretation nach dem was Kant gemeint haben könnte gibt es ein weites Spektrum. Ich versuche natürlich durch meine Systematik möglichst in der Richtung zu gehen die Kant gemeint haben könnte; das Ziel ist aber nicht Kant so zu interpretieren wie er es gemeint hat, sondern das Ziel ist eine konsistente und kohärente Interpretation zu machen [die weiterbringt].

III. Wissen autopoietisch verstehen

Zum ersten Punkt nämlich 'Wissen autopoietisch verstehen: da betrachte ich Wissen zunächst als Ergebnis des Tuns, als das, was durch Kognition hervorgebracht wird. Dieses Tun wird unter anderem durch kognitive Funktionen bestimmt und führt [unter anderem] zum Ergebnis 'Wissen'.

Dieses Wissen wird aber auch zu den kognitiven Funktionen zurückgeführt und dies ist jetzt die Stelle wo die autopoietische Idee einfliesst. Diese Rückführung [oder Rückkopplung], dieses Feedback ist so, dass das zurückgeführte Wissen ein Teil der kognitiven Funktionen wird: Es ist nicht nur ein Ergebnis sondern - dank Feedback - erweitert es das Potential, das Vermögen der Kognition (siehe Fig. 1).

Figur 1 - Anatomie des Wissens: Ergebnis und Werkzeug des Tuns

In der Sprache der Kybernetik würde man hier [für die in Fig. 1 dargestellte Elemente] von Operation (Tun), Operand (Wissen) und Operator [kogn. Funktionen] sprechen; der zurückgeführte Operand wird zu einer Funktion, erweitert den Mechanismus von dem er selbst hervorgebracht worden ist. Und so wächst das ganze System - angedeutet in Fig. 1 durch die gestrichelten Linien - d.h. indem das System aktiv ist wächst es auch in seinem Vermögen: das ist die Grundidee der Autopoiese und ich versuche sie eben auf Wissen anzuwenden. Damit Wissen aber Teil von Funktionen wird, kann es nicht etwas statisches sein, sondern muss einen dynamischen Aspekt haben, einen Funktions-Aspekt. Das ist anders als bei den Maschinen wo ein Produkt einer Maschine nicht Teil des Mechanismus wird. Ein Produkt kann zwar zurückgeführt werden zum Mechanismus aber es wird nicht Teil der Funktionalität. Das könnte man in Prinzip in der Software machen, macht es aber nicht [weil das noch nicht beherrscht wird].

Autopoiese und Selbstorganisation

Das war also das autopoietische Verständnis von Wissen. Der Loop dabei, die Schleife, das ist auch eine Grundlage der Modellierung von Selbstorganisation. Ideen in dieser Richtung findet man schon bei Jean Piaget in seinem Buch 'Biologie et connaissance' von 1967. Da versucht er auch die Hypothese zu untermauern, dass die Organisation von Kognition isomorph sein könnte mit der Organisation des Lebewesens als physisches System. 'Isomorph' bedeutet hier, 'analog' im Sinne von strukturell gleich aufgebaut so, dass wenn man die Organisation des Lebens in den Zellen und Organismen versteht, man dann auch die Organisation der Kognition versteht. Bei Piaget ist aber das autopoietische Konzept nicht dabei [er beschränkt sich noch auf Regelung und Selbstorganisation]; Maturana hatte in 1967 - als Piaget sein Werk veröffentlichte - seine Idee der Autopoiese noch nicht publiziert. Erst 1972 erschien [in Chile] die [spanische] Originalversion von 'Autopoiesis and Cognition' das 1980 [als Piaget starb] in englischer Übersetzung publiziert wurde. Das ist das Hauptbuch von Maturana und von dort habe ich dieses Konzept, wobei sich Maturana wohl mit Kognition befasst aber nicht mit dieser Form von Autopoiese wie ich sie für Wissen entwickeln möchte. Was ich mache ist nicht sehr verschieden aber doch eine kleine Erweiterung.

Wie gesagt, das Ziel wäre Wissen autopoietisch im genannten Sinne zu verstehen. [Auf dem Weg zu diesem Ziel bin ich jetzt an einem wichtigen Meilenstein angelangt].

Stilles und explizites Wissen

Im Bereich des Wissensmanagement unterscheide ich zwei Zustände des Wissens - auch da habe ich gewisse Ideen aus bestehenden theoretischen Ansätzen des Wissensmanagements übernommen und versuche nun das mit meinem autopoietischen Wissens-Konzept zu verbinden. Ich unterscheide also zwei Zustände des Wissens, 'tacit knowledge' und 'explicit knowledge'. Leider wird 'tacit' oft mit 'implizit' übersetzt: ich verwende hingegen 'stilles Wissen' weil implizit 'mitgemeint' bedeutet, wogegen 'tacit' nicht auf 'mitmeinen' beschränkt ist. Wenn wir also als Beispiel die Diskussion von vorhin nehmen: Rolf sagte, ihr sollt eure Fragen formulieren und im Internet stellen [nicht in Bücher suchen], dann wäre stilles Wissen die Frage wenn sie noch im Kopf ist, wenn z.B. jemand versucht eine Web-Seite mit einem Frame zu machen und es gelingt ihm nicht [und er fragt sich wie das gehen könnte]. Wenn er dann seine Frage formuliert, dann wird sie zum expliziten Wissen.

Figur 2 - Anatomie des Wissens: die 2 Zustände

 

Die in Fig. 2 verwendete Metapher des Icebergs will veranschaulichen, dass das explizit vorhanden Wissen nur ein kleiner Anteil dessen ist, was [in einer Person] in stiller Form vorhanden ist. Eine weitere Metapher [für das Verhältnis zwischen stillem und expliziten Wissen] die für mich z.Z. wichtig ist, ist die des Schattens. Im Beispiel der Frage von vorhin: die formulierte Frage ist für mich wie der Schatten der Frage im Kopf.

Die Frage im Kopf ist dieses dynamische Wissen, das autopoietisch organisiert ist, und wenn man sie ausdrückt mit Wörter, Diagramme, Zeichnungen usw. dann kann man schon gewisse Aspekte des stillen Wissens festhalten, erhält aber eine [grundsätzlich] neue Form von Wissen wobei das Verhältnis zwischen den zwei wie das Verhältnis des Schattens (formulierte Frage) zu seinem Gegenstand (Frage im Kopf) ist. Explizites Wissen ist wie der Schatten des stillen Wissens weil stilles Wissen dynamisch ist und autopoietisch funktioniert, lässt den Mechanismus - von dem es hervorgebracht wurde - wachsen. Hingegen ist das explizite Wissen - der Text, die Wörter der Frage auf einem Datenträger - fest und statisch ist. Wenn ich das interpretiere, den Text lese z.B., dann mache ich wieder daraus etwas dynamisches [das in mir das Vermögen zu Wissen wachsen lässt]. Explizites Wissen ist auch in einer Organisation wie man den Fertigungs-Prozess (Px) organisiert hat: man hat Maschine A, B und C nacheinander gestellt, was auf stillem Wissen basiert aber wenn es physikalische Form annimmt [die Reihe von Maschinen], dann wird es explizites Wissen über den Prozess (Px). Oder wenn man eine Anweisung schreibt, wie eine Maschine zu bedienen ist, dann hat man auch explizites Wissen aber derjenige der die Anweisung schreibt, der weisst natürlich viel mehr, das ist sein stilles Wissen wobei nicht alles was im stillen Wissen vorhanden ist in expliziter Form herauskommt.

Jetzt wieder zurück zu diesem Beispiel über das Formulieren von Fragen im Internet statt in Bücher zu schauen: in Bücher findet man nur das explizite Wissen, nur den Schatten. Wenn man im Internet die Frage stellt dann hat man mehr Chancen, dass man sich das stille Wissen von vielen für einen spezifischen Fall zu nutze machen kann. Man sucht nicht bereits unter Wissen in expliziter Form sondern stellt zunächst die Frage an einer Person - Träger des stillen Wissens können nur Personen sein, das sollte auch unterstrichen werden.

[Frage 1: Wie unterscheiden sie Wissen und Information?]

Information sehe ich immer als einen Teil des expliziten Wissens. Ich kann mit einem Buch umgehen als sei es explizites Wissen, wenn ich dort eine Antwort suche, aber ich kann mit demselben Buch auch als Information umgehen, [wenn ich z.B. Wörter zähle oder den Text einscanne, in einem Ordner speichere, usw.]. Die Information das sind Daten-Elemente die mit einer Interpretation versehen sind, noch nicht aber sehr eng im Kontext verknüpft wie Wörter in einem Buch, in einer Enzyklopädie (da ist ein Text mit Erklärungen aus mehreren Sätzen, nicht nur einzelne Begriffe wie in einer Tabelle). Man könnte eine Tabelle mit Namen, Adressen und Telefonnummern als Information betrachten weil dort einzelne Daten-Elemente mit der [zugehörigen] Bedeutung versehen sind. Ich weiss z.B. in der Kolonne sind alle Telefonnummern und nicht Gewichtszahlen und Körpermasse. Eine Zahl in der Kolonne ist zunächst ein Datum und dieser zusammen mit der Kolonnen-Bezeichnung ergibt eine Information 'Telefon-Nummer'. Wenn ich das aber in einem grösseren Kontext stelle und Bezüge herstelle zwischen verschiedene Informations-Elementen und denke z.B. "wenn die Telefon-Nummer als Vorwahl '061' beinhaltet, dann wohnt die Person im Kanton Basel-Stadt oder Baselland", dann ist dieses Im-Kontext-Setzen eine Leistung der Person die denkt und soll eher als Wissen betrachtet werden. Solange es so einfach bleibt könnte es auch explizit gemacht werden indem z.B. jemand den gedachten Zusammenhang als Prosa oder als Formel aufschreibt. Das was ich in der Künstlichen Intelligenz (KI) mache ist eben solche Regeln [in computergerechter Form] zu formulieren die in einem wissensbasierten System automatisch abgearbeitet werden können. Dort sind in expliziter Form Entscheidungs-Schritte modelliert. Ein Projekt an dem ich z.Z. arbeite ist im Auftrag der Steuerverwaltung Baselland und die [globale] Entscheidung heisst dort: 'Ist die Steuererklärung gesetzeskonform ausgefüllt ?'. In einem solchen System sind Daten, Informationen und explizites Wissen in computergerechter Form verpackt, aber kein stilles Wissen. Stilles Wissen kann nicht als solches in maschineller Form verwendet werden. Da ist auch ein Grund für die grosse Versprechen die von den KI Spezialisten gemacht wurden und dann nicht eingehalten werden konnten. In den Anfängen der KI hat man gesagt, Informationsverarbeitung [wie sie im Computer realisiert ist] sei ein Modell für das Vermögen der Kognition. Das bestreite ich aber weil für mich das stille Wissen autopoietisch und dynamisch viel besser verstanden werden kann; ich kann mir nicht vorstellen, dass unser stilles Wissen so plump wie im Informationsverarbeitung-Modell funktionieren könnte. Aber weil man das so gesagt hat in der KI, nämlich dass Informationsverarbeitung das Modell des menschlichen Denken sei, so konnte man auch behaupten, dass man auf dieser Basis intelligente Computer bauen könne. Das Versprechen wurde aber nicht eingehalten, was für mich ein Hinweis dafür ist, dass man eher in der Richtung des autopoietischen Modells suchen sollte.

Erstaunlicherweise haben die Misserfolge der KI nicht dazu geführt, das man das Modell aufgegeben hätte, es wird weiterhin in derselben Richtung gesucht, wahrscheinlich auch deshalb weil eine gewisse Verwendbarkeit geblieben ist - wie auch mein Projekt bei der Steuerverwaltung beweist.

[Frage 2: Was bedeutet 'Verstehen' im autopoietischen Modell von Kognition?]

Wenn ich einen neuen Wissensinhalt erarbeitet habe und das assimilieren kann - um einen Ausdruck von Piaget zu verwenden - mit dem Wissen das ich schon habe, dann sage ich dazu 'verstehen'. In Fig. 1 betrachtet: ich erarbeite einen neuen Wissensinhalt Wx aus dem Tun - wobei Tun das körperliche und das psychische Tun zusammenfasst - und wenn dieses Wx mit den vorhandenen Inhalten integriert werden kann, so dass keine Fragen offen bleiben - zumindest vorläufig - dann habe ich das 'verstanden'. Das Neue ist in diesem Fall mit dem Bestehendem konsistent; es kann aber auch sein, dass ich Akkomodation anwende, d.h. das Neue in das Bestehende nicht einfüge, sondern das Bestehende zunächst verändere, damit das Neue Einzug halten kann und wieder das Ganze konsistent wird. Dann habe ich auch 'verstanden'. [Akkomodation und Assimilation sind zwei Prozesse die auch im autopoietischen Modell weiterhin aktuell bleiben].

[Frage 3: Wenn etwas nicht verstanden worden ist, ist das auch Wissen?]

Ich fasse hier in Fig.1 den Operand 'Wissen' sehr allgemein auf, als Ergebnis des Tuns [das von beliebiger Qualität sein kann, also unabhängig davon, ob Akkomodation und Assimilation vollständig gelungen sind oder nicht]. Man könnte eine Unterscheidung einführen, so dass man von Kenntnis spricht [wenn die Assimilation oder Akkomodation überhaupt nicht oder noch nicht zufriedenstellend genug gelungen ist]. Ich nehme Wissen jetzt mehr global als Ergebnis des kognitiven Tuns das dann weiter verarbeitet wird; es ist noch offen welche Unterscheidungen [bei einer Vertiefung des Modells] gemacht werden könnten unter Berücksichtigung der Qualität von Assimilation, Akkomdation und von weiteren Prozessen, die Piaget nicht vorgesehen hat und die man noch erfinden muss.

IV. Kant konstruktivistisch interpretieren

Zurück zu den 3 eingangs erwähnten Messages. Was ich bis jetzt gemacht habe um dieses autopoietische Konzept auszuarbeiten ist zu den Grundlagen zu gehen. Ich habe also versucht Kognition zu modellieren, in der Annahme, dass erst aus dem Modell von Kognition ein klares Verständnis von Wissen, Information und Daten resultieren kann. Die Voraussetzung um einen besseren Begriff von Wissen zu haben scheint mir in der Erarbeitung eines Modells von Kognition zu liegen. Und dieses Modell von Kognition habe ich [wie vorhin erwähnt] bei Kant gesucht und mit Kant entwickelt. Im Dezember 2000 ist bei Suhrkamp ein Beitrag von mir erschienen, wo ich eine konstruktivistische Interpretation von Kant beschreibe. Dieser Text fasst einige meiner früheren Arbeiten zusammen, die ich an Kongresse oder Seminare vorgetragen hatte. Das Ziel hier ist den Begriff des Objekts neu zu konzipieren, so dass es möglich wird zu denken, dass die Gegenstände sich nach den kognitiven Funktionen richten. Das ist der Ansatz, das was dieser Beitrag leisten möchte, zu zeigen wie in unserer Erfahrungswirklichkeit nur das objektiv ist, was wir selber als objektives Konstrukt herstellen und dass die Wahrheit dieser objektiven Konstrukte sich aus dem Vergleich mit den übrigen [eigenen] objektiven Konstrukten ergibt. Ein neuer objektiver Konstrukt (oder mehrere) kann man als neue Erfahrung bezeichnen und die Wahrheit dieser neuen Erfahrung die ergibt sich aus dem Vergleich mit früheren Erfahrungen: wenn da Kohärenz und Konsistenz gewährleistet werden können, dann ist dieser neue objektive Konstrukt auch wahr. Das ist was ich versucht habe in diesem Beitrag zu leisten.

[Frage 4: Ist das dann nicht nur subjektiv?]

Auch das Objektive ist 'subjektiv' aber nur in dem Sinne, dass es durch das Subjekt bestimmt wird. Das ist der Punkt. Der Begriff des Objekts bleibt, aber ich versuche es neu aufzubauen, mit Kant: dass die Objekte sich nach den kognitiven Funktionen richten. Objekt ist etwas was wir machen. Wir machen es nicht 'dem Dasein nach' aber 'dem Erleben nach'. Wir erzeugen nicht die physische Wirklichkeit der Objekte, wie z.B. diesen Raum wo wir jetzt sind, die Möbel darin, usw. Wenn ich aber von 'Raum' spreche und sage 'dieser Raum' dann habe ich für mich einen Objekt 'dem Erleben nach' erzeugt: ich habe etwas was ich erlebe als Raum betrachtet und das ist meine Leistung, ich könnte mein Erleben anders modellieren. Ich erzeuge aber nicht die physischen Träger von dem, was ich als Raum betrachte.

[Frage 5: Ich bilde ja den Raum nur ab, stimmt das?]

Nun .... 'abbilden', damit sind wir jetzt bei der entscheidenden Frage. Um etwas abzubilden muss ich Zugriff auf das Original haben. Es gibt aber kein Original von 'Raum'. Wenn ich sage 'diesen Raum', da wo wir jetzt sind, 'Pavillon Raum Nr. 1', da habe ich nicht Zugriff auf das Original 'Pavillon Raum', ich habe nur Zugriff auf eine Erfahrung, ich erfahre hier Licht und Wärme und durch Berührung kann ich etwas empfinden aber ich erfahre nicht den Raum. Den Raum den konstruiere ich als Objekt, den Begriff des 'Pavillons' den muss ich ja auch selber konstruieren, ich erfahre nicht einen 'Pavillon' einfach so, ich habe ja nie einen Zugriff auf ein Original 'Pavillon', ich habe nur gewisse sensorische Modifikationen von verschiedenen Zellen des Nervensystems und aus diesen muss ich mir eine stabile Wirklichkeit aufbauen, das ist aber immer meine Erfahrungswirklichkeit, mit meiner Logik - Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Objekten - und in diesem Prozess ist 'Objekte konstitutieren' ein wesentlicher Punkt, das bildet sozusagen den Anfang.

Bei Piaget gibt es in einem seiner ersten Bücher - das ist der Anfang des modernen Konstruktivismus, das Buch ist von 1937 und heisst 'La construction du rèel chèz l'enfant' - also 'Konstruktion der Wirklichkeit beim Kinde' - dort befasst sich Piaget im ersten Kapitel mit der Konstruktion des Begriffs des Objekts. Wie das Kind seine Welt in 'Objekten' organisiert. Das steht also am Anfang. Und das denke ich ist auch für mich sehr wichtig, in meinem Modell - d.h. im erwähnten autopoietischen System; dort ist die Konstruktion von Objekten ein zentraler Punkt. Diese konstruierte Objekte werden nicht abgebildet. Wenn ich z.B. da vor mir schaue und sage 'diesen Stuhl', dann mache ich kein Abbild; sondern ich habe in meinem logischen System, in meiner Erfahrung, da gibt es diesen Begriff des Stuhls, der macht bei mir Sinn, und ich wende ihn auf diesen Teil meiner sensorischen Perturbationen an und sage 'diesen Stuhl'. Dabei muss ich sowohl den Begriff 'diesen' - d.h. das was wir mit dem deutschen Wort 'dies' bezeichnen - aufbauen, als auch 'Stuhl' und die Verbindung zwischen 'dies' und 'Stuhl'; das und die Logik in dieser Tätigkeit sind alles Sachen die ich leisten muss. In meinem Ansatz versuche ich das als Leistung der kognitiven Funktionen zu erklären.

Konstruierende statt abbildende Operationen

Eine wichtige Grundlage dabei bilden die Arbeiten von Silvio Ceccato. Er hat eine sogen. 'Operative Methodologie' entwickelt. Der Grundsatz dieser Methodologie besagt, dass man versuchen soll mentale Inhalte - z.B. 'diesen', 'Raum', 'Pavillon' - als Ergebnisse von Operationen zu verstehen. Der wahrnehmende Mensch leistet diese Operationen und das Ergebnis davon sind die mentale Inhalte. Diese Operationen sind konstruierende Operationen nicht abbildende Operationen. Die Beziehung zwischen Erfahrung und Realität ist nicht eine Abbildung (abbildende Beziehung). Wie Kant ausdrücklich formuliert hat - das ist die Grundannahme der 'Kritik der reinen Vernunft' - ist die Beziehung so - bzw. versucht er sie so zu verstehen - dass die Gegenstände sich nach den mentalen Funktionen richten.

Logik als Menschenwerk und Wissenschaftler als Erfinder

Der Gegenstand wird also logisch aufgebaut als Leistung des denkenden Subjekts und es gibt keine Abbildung, sondern die ganze Logik mit der wir uns in der Welt zurechtfinden ist unsere Leistung. Es gibt auch keine formale Logik die absoluten, universellen Wert hätte. Die formale Logik die wir kennen hat nur Wert innerhalb dieses Systems [der Kultur] das wir auch entwickelt haben; Widerspruchsfreiheit und all die schönen Dinge die haben wir definiert. Diese Logik ist nicht absolut gültig und steht im Himmel. Das gilt für den gesamten Spektrum der Logik - es gibt ja nicht nur die formale Logik - in den Naturwissenschaften: die Naturgesetze - das steht ebenfalls bei Kant - das sind konstruktive Leistungen der Menschen die sich diese ausgedacht haben, das sind keine Abbildungen. Aber das ist eine Reflexion die ein Wissenschaftler nicht macht. Ein Physiker der ein Naturgesetz beschreibt, aufschreibt, formuliert, der sieht sich heute immer noch als Entdecker, wie mein Landsmann Kolumbus der Indien entdeckt hat - aber es war gar nicht Indien. Er findet etwas vor. Der Wissenschaftler versteht sich immer noch als jemand der etwas vorfindet. Wieso? Weil er keine epistemologische Reflexion macht, der Wissenschaftler. Er denkt er bräuchte so was nicht. In der Tat, kann er viele schöne Dinge hervorbringen, egal ob er sich als Entdecker oder Erfinder versteht. In seiner Tätigkeit kann er vorankommen unabhängig davon. Bis zu einem gewissen Punkt natürlich. Er kann den Massenerhaltungssatz oder den Gesetz der Erhaltung der Energie oder er kann die Quantenmechanik 'entdecken'. Er kann das als entdecken sehen, es spielt keine Rolle: er macht Experimente und formuliert etwas und wenn das Experiment stimmt, dann hat er das entdeckt. Für sein Fortkommen ist die epistemologische Reflexion nicht so entscheidend, deswegen kann er es sich leisten, sich als Entdecker zu betrachten. Vielleicht würde er aber weiterkommen, wenn er sich als Erfinder verstehen würde.

Verantwortung des Wissenschaftler für sein Denken

Vor allem könnte er dann mehr Verantwortung übernehmen für das, was er erfunden hat. Solange er sich als einer versteht, der etwas vorfindet - wie Kolumbus der Indien vorfindet, das hat er nicht erschaffen - solange fühlt sich der Wissenschaftler auch nicht verantwortlich, z.B. für die Quantenmechanik die er entdeckt hat. Wenn er sie 'erfunden' hätte würde er sich vielleicht mehr verantwortlich fühlen. Aber er würde auch mehr kreativ sein können. Das ist was ich am Anfang erwähnt über das Ziel meiner Reflexion. Wenn man diesen Grundsatz von Kant übernimmt, also versuchen wir das Vermögen der Kognition so zu verstehen, dass die Gegenstände mit den wir in unserem Verstand umgehen sich nach den kognitiven Funktionen richten und nicht die kognitiven Funktionen nach den Gegenständen. Wenn wir das so machen und diesen Ansatz nach Kant weiterdenken, dann habe ich das Gefühl, dass wir mehr in Richtung Kreativität und Verantwortung vorankommen könnten.

Es geht also um das Verhältnis zwischen Vorstellung und Gegenstand (Fig.3).

 

Fig.3 Verhältnis zwischen Vorstellung und Gegenstand

 

Ich kann die Stelle in der 'Kritik der reinen Vernunft' suchen ....., hier, es ist B XVI: "Bisher nahm man an, alle unsere Erkenntnis müsse sich nach den Gegenständen richten ...". [Das ist in Fig. 3 mit dem oberen Pfeil von Vorstellung nach Gegenstand dargestellt]. Die Erkenntnis - also die Vorstellung - richtet sich nach dem Gegenstand. Die Beziehung sagt Kant wurde bisher - das war 1787 als die zweite Auflage der Kritik publiziert wurde - in dieser Weise betrachtet. Und das ist heute immer noch so auch in der Wissenschaft. Man geht davon aus, dass unser Wissen als Abbild von etwas Vorgegebenem entstehe. Dann fährt Kant an der Stelle weiter indem er sagt, dass es verschiedene Probleme damit gibt und macht den folgenden Vorschlag: "Man versuche es daher" - wegen der Probleme - "einmal ob wir nicht in den Aufgaben der Metaphysik damit besser fortkommen, dass wir annehmen die Gegenstände müssen sich nach der Erkenntnis richten". ..." [in Fig. 3 mit dem unteren Pfeil von Gegenstand nach Vorstellung dargestellt]. Das ist die berühmte 'Kopernikanische Wende'.

Die zentrale Hypothese der Kritik

Ich habe das etwas umformuliert und sage 'die Gegenstände richten sich nach den kognitiven Funktionen. Dies also steht bereits in der Vorrede der Kritik von 1787. Es wird ausdrücklich gesagt 'man versuche es daher einmal, dass wir annehmen': das ist also die Grundannahme die am Anfang der Kritik steht. Im Kern ist also die Kritik der reinen Vernunft eine Reflexion über dieses Verhältnis, zwischen Vorstellung und Gegenstand. Darüber sprechen die Philosophen aber nicht explizit weil sie sich mehr für die Metaphysik bei Kant interessieren und das Hauptargument für diese kopernikanische Wende bei Kant befindet sich im Teil 'Analytik der Begriffe', wo Kant sehr viel über kognitive Funktionen spricht und das interessiert die Philosophen nicht, sie betrachten das als Psychologie und sie sagen, wir machen keine Psychologie, das ist kontingent, das ist vom Menschen abhängig, wir machen 'absolute Philosophie', wir suchen die absolute Wahrheit. Der Teil in der Kritik der reinen Vernunft wo Kant die erwähnte Hypothese untermauert, wird eigentlich von den Philosophen vernachlässigt. Der Hauptteil in der 'Analytik der Begriffe' ist die Theorie der Synthesis aber das wird ignoriert, es wird ausdrücklich gesagt, das sei 'Psychologismus', man müsse nicht darauf achten, schauen wir nur auf die Methaphysik bei Kant. Deswegen sage ich auch, ich glaube nicht dass ich ein Philosoph bin, weil ich mich nicht mit diesem Teil der Kritik befasse wo Kant Schlussfolgerungen für die Metaphysik zieht: das sind dann etwa 600 Seiten in der Kritik - das ganze Buch ist ca. 900 Seiten lang - wo man sich mit Metaphysik austoben kann und all das andere vergessen kann. Die ganze Theorie der Synthesis, die Grundlage also, die kann man vergessen, wenn man wirklich will. Wobei die Analytik der Begriffe schon als Kern der Kritik anerkannt wird, aber man sucht auch in diesem Kern nur das Metaphysische, nur die metaphysische Reflexion. Man kann nämlich zwei Linien in der Analytik der Begriffe unterscheiden: einerseits eine metaphysische und andererseits eine funktionelle Reflexion, die sehr verwoben sind. Kant hat die zwei nicht auseinandergehalten so systematisch wie ein Ingenieur das vielleicht machen würde. Das kann man denke ich von Kant auch nicht erwarten in der Zeit wo er das gedacht hat. Diese Verwobenheit die kann erst aus heutiger Sicht gesehen werden, 200 Jahre später. Man kann also diese Reflexion über kognitiven Funktionen und Metaphysik trennen. Es wäre schön wenn das jemand einmal systematisch machen würde: die Philosophen machen das nicht, sie machen nur eine partielle Trennung, sie nehmen das Metaphysische heraus und lassen die funktionelle Reflexion beiseite, das ist keine faire Trennung. Man müsste beide nebeneinander darstellen. Ich kann diese faire Trennung im Moment auch nicht machen, weil mich die Metaphysik nicht prioritär interessiert, ich schaue im Moment nur auf die kognitiven Funktionen. Ich wäre aber bereit das zu machen: leider wird mich nie jemand an der Universität Zürich oder Basel als Professor anstellen und so wird mein Traum [von einer 100% Kant- und Kognitions-Forschung] nicht in Erfüllung gehen. Das spielt aber keine Rolle [die Reise ist das Ziel und ich bin auch ohne Uni Professur unterwegs].

Die Suche nach einer 'absoluten, universellen' Logik

Das war ein Punkt, den ich jetzt erwähnte, wo ich versuche Kant neu zu lesen indem ich die Wichtigkeit der funktionellen Reflexion hervorzuheben versuche. Weiterhin kritisiere ich, dass man in der Kritik der reinen Vernunft zu sehr nach einer absoluten Logik sucht  [Kant verwendet zwar Ausdrücke wie 'Notwendigkeit und strenge Allgemeinheit', diese sind aber im Kontext seines Modells von Kognition ganz anders konzipiert und implementiert als in der klassischen Logik]. Der Philosoph sucht generell nach einer absolut gültigen Logik aber wenn diese Annahme von Kant [siehe oben, Fig.3] stimmt, dann gibt es gar keine absolute Logik. Stimmt meine ich in dem Sinne, dass wen Kants Annahme eine viable, brauchbare Annahme ist und wir in unseren menschlichen Angelegenheiten besser weiterkommen können, dann hat es keinen Sinn, nach einer absoluten Logik zu suchen. Das ist aber genau das was die Kant-Forscher (Befürworter, Gegner und Indifferenten) machen, sie suchen in Kants Werk diese absolute Logik.

Kritizismus als Idealismus

Ein weiterer Punkt den ich bei Kant neu aufzufassen versuche betrifft sein vermeintliches Idealismus. Kant wird als Idealist betrachtet. Jene die seine Annahme zum Verhältnis zwischen Vorstellung und Gegenstand ernst nehmen sagen dann oft, er sei ein Idealist, weil sie den Gegenstand physisch betrachten und die Erschaffung der physischen Realität durch das Denken wäre dann der besagte Idealismus. Immer wieder wird Kant, insbesondere von den Wissenschaftlern die Kant lesen wenn sie von einer Uni zur anderen reisen oder so, als Idealist eingeschätzt. Vor kurzem - 1999 - ist eine Untersuchung eines Kant-Spezialisten erschienen der bewiesen hat inwiefern es falsch sei Kants Kritizismus als Idealismus zu betrachten, auf der Grundlage der Kantischen Texte. Es gibt sogar einen Kapitel in der Kritik das 'Widerlegung des Idealismus' heisst. Das war ein Vorwurf, den Kant schon zu seiner Zeit bekommen hatte und so schrieb er einen Kapitel dagegen. Trotzdem wird er immer noch als Idealist betrachtet. Das ist einfacher als sich eingehend mit der Frage zu befassen: Was heisst es das Gegenstände 'sich nach der Vorstellung richten'? Dieses 'sich richten nach', was heisst das? Das beschreibt Kant in seinem Text und es ist eine ganz neue Bedeutung die sehr komplex ist. Eine konsistente und kohärente Interpretation von diesem 'sich richten nach' ist bestimmt keine einfache Sache aber ich denke, dass ich das mindestens in Ansätzen machen konnte.

Vorwürfe wie Inkonsistenz, Widersprüchlichkeit, Verworrenheit

Das bringt mich zu einem weiteren Punkt: sehr oft wird Kant kritisiert wegen Inkonsistenz in seinem Text; man sagt, hier sagt er dazu das, dort sagt er zum selben jenes, das passt nicht zueinander. Oder es wird im sonstige Widersprüchlichkeit, Verworrenheit des Denkens und Mängel im schriftlichem Ausdruck vorgeworfen. Mir scheint dass diese Kritiker immer dann, wenn Ihre Interpretation scheitert, die Schuld bei Kant suchen. Ich hingegen - wenn meine Interpretation scheitert - versuche zu schauen was ich anders interpretieren könnte, wie könnte das worum es geht anders gedacht werden. Mein Vorteil dabei vielleicht war von Anfang an (1987, siehe oben) und ist immer noch, dass ich auf die Arbeiten von Silvio Ceccato, Ernst von Glasersfeld und Humberto Maturana zurückgreifen konnte und kann. Die haben mir sehr geholfen eine konsistente Deutung nach konstruktivistischen Gesichtspunkten zu machen. Piaget auch.

Begriffe a priori als angeboren

Wobei Piaget, gerade in dem Buch dass ich vorhin erwähnte, 'Biologie et Connaissance', da gibt es ein Paar Stellen wo er sich mit Kant auseinandersetzt, er interpretiert das 'a priori' - das ist bei Kant ein zentraler Begriff - als 'angeboren'. Begriffe a priori sind dann in Piagets Interpretation angeborene Begriffe, die das Lebewesen - Mensch oder Tier - von Geburt an mitbringt. Vom Text her gibt es aber genug Stellen wo Kant sein Konzept von 'acquisitio' des Apriori erläutert oder erwähnt, d.h. über den Erwerb der Begriffe a priori durch die Tätigkeit des denkenden Subjekts spricht. Das kann man nachweisen, und trotzdem werden Begriffe a priori immer noch als angeborene Begriffe interpretiert, die das Subjekt von Geburt an mitbringt. Das ist bei Piaget - und bei vielen anderen Interpreten - ein Schwachpunkt, den ich kritisiere. [Mit meiner Kritik stehe ich nicht alleine da]. Es gibt zum Glück professionelle Kant-Forscher, die sich explizit mit dieser Thematik auseinandergesetzt haben und einer unter Ihnen konnte vor kurzem nachweisen, dass das Apriori bei Kant nicht als 'angeboren' sondern als 'erworben' betrachtet werden sollte [und dass die Rolle des Erwerbs nicht als unbedeutend eingestuft werden kann].

[Zusammenfassend kritisiere ich an der etablierten Art Kant zu interpretieren folgende Punkte:

Nach dieser Kritik an einigen der üblichen Ansätzen habe ich meine Interpretation aufgebaut und in 10 Prinzipien die Meilensteine festegehalten. Es wäre zu spezialistisch hier darauf einzgehen.

V. Konsequenzen

[Die Konsequenzen die aus diesen 10 Prinzipien gezogen werden können betreffen im Wesentlichen drei Themen].

  1. In Bezug auf die Funktion des Wissens, dass die Beziehung zwischen Realität und Wissen durchaus ein 'sich richten' der Gegenstände nach der Vorstellung sein kann. Die Kognition bringt die Objekte, die Gegenstände des Wissens hervor, [die Funktion des Wissens ist also das Gegenteil von Abbildung]. Was passiert dann mit diesen Objekten ?
  2. [Damit kommen wir zu Validierung von Wissen]. Diese Objekte werden validiert, und zwar nach dem Erfolg den sie haben. Wenn ich das da als 'Stuhl' betrachte und dann darauf sitzen kann, dann ist das ein Erfolg. Ich werde das weiterhin als Stuhl betrachten. Wenn ich etwas als Stuhl betrachte und dann sitze darauf und falle am Boden - vielleicht war es nur ein Hologramm eines Stuhles - dann werde ich meinen Begriff, so wie ich ihn angewendet habe, etwas korrigieren müssen, z.B. eine Unterscheidung zwischen physischen Stuhl und Hologramm-Stuhl einführen. [Punkt 1 und 2 sind eng miteinander verbunden]. Einerseits besteht die Funktion des Wissens nicht darin, die Realität abzubilden sondern ein stimmiges System von Objekten und Eigenschaften aufzubauen. Dann der zweite Schritt: die Validierung dieses Wissens besteht darin die vergangenen Erfahrungen mit der aktuellen zu vergleichen und bei zukünftigen Erfahrungen auch immer wieder den Vergleich zu machen und das Ganze zu revidieren.
  3. Das dritte Thema betrifft die Grenzen des Wissens, d.h. die Beziehung zwischen Rationalität und alles was wir sonst - ausser der Rationalität - brauchen um uns in der Welt zurechtzufinden, also Emotion, Intuition und Mystik. Ich denke, ein gutes Modell des Vermögens der Kognition kann auch diese Grenzen des rationellen Wissens aufzeigen. Zum Beispiel, dass die Logik mit der wir umgehen von Menschen hervorgebracht ist, nicht im Himmel bereit steht und wir durch Erinnerung oder andere Methoden uns dessen bewusst werden. Es geht um die rationelle Logik, darum, dass wir die abgrenzen können. Das meine ich ist auch eine wichtige Leistung eines Modells der kognitiven Funktionen.

[Ich danke für die Aufmerksamkeit.]

Rolf Todesco: Ich würde vorschlagen, dass wir eine Unterbrechung machen und das alles ein bischen verdauen beim Kaffee und danach nochmals schauen, was bedeutet dieses Konzept in Bezug auf unser Wissensmanagement: